„Die Digitalisierung gibt mehr Leuten die Möglichkeit, Kulturjournalismus zu machen.“
Olga Kolokytha im Interview

Olga Kolokytha ist als Expertin für Kulturpolitik und Kulturmanagement an der Universität Wien und an der Universität für Weiterbildung Krems tätig. Im Interview spricht sie darüber, welche Auswirkungen die Digitalisierung aus wissenschaftlicher Sicht auf den Kulturjournalismus hat: die vermehrten Angebote, die Beteiligung des Publikums und die starke Sichtbarkeit des Kulturjournalismus.

Laptop auf, dem ein Videoanruf läuft

Cult Journal Digital: Inwiefern haben sich der Kulturjournalismus und die Rolle von Kulturjournalist:innen durch die Digitalisierung verändert?

Kolokytha: Es ist keine einfache Antwort, aber ich glaube, es gibt verschiedene Veränderungen. Eine, die zum Beispiel für mich interessant ist, ist, dass die Digitalisierung mehr Leuten die Möglichkeit gibt, Kulturjournalismus zu machen, also zum Beispiel mit Blogging oder Websites und so weiter. Es gibt mehr Möglichkeiten, Meinungen offen zu artikulieren. Es gibt verschiedene Kategorien, verschiedene Levels von Kulturjournalist:innen, verschiedene Arten von Meinungen. Wenn man zum Beispiel Kulturjournalismus studiert hat, kann man eine ganz andere Meinung entwickeln. Es gibt bestimmte Arten, wie man schreiben kann, wie man ein Konzert evaluieren kann und so weiter. Und es gibt dann andere Arten zu schreiben und zu evaluieren, wenn man nicht Kulturjournalismus studiert hat.

Cult Journal Digital: Die Wissenschaft geht davon aus, dass der Kulturjournalismus im Vergleich zu anderen journalistischen Sparten eine Sonderstellung hat. Sind die Veränderungen durch die Digitalisierung im Kulturjournalismus anders als in anderen Ressorts?

Kolokytha: Ich glaube, es gibt Ähnlichkeiten. Es gibt Blogs im Bereich Kulturjournalismus, aber auch im Sport und in der Politik, also die Digitalisierung hat mehr Möglichkeiten eröffnet. Sie hat auch eine Demokratisierung des Kulturjournalismus erlaubt. Aber das ist auch der Fall in anderen Bereichen, das ist nicht nur der Kulturjournalismus.

Cult Journal Digital: Das Gatewatching Modell besagt, dass das Gatekeeping, wie es vor der Digitalisierung existiert hat, jetzt vielleicht nicht mehr so relevant ist und, dass Journalist:innen im digitalen Medienumfeld auch häufig andere, externe Quellen beobachten. Kann man dieses Modell auch im Kulturjournalismus anwenden?

Kolokytha: Ja, ich glaube, mit der Digitalisierung, man kann das beobachten. Früher gab es mehr Gatekeeping. Also es waren die Zeitungen und Magazine, die Journalist:innen, das war eine Art von Gatekeeping. Die Media Outlets waren die Gatekeepers in dem Bereich. Jetzt mit der Digitalisierung hat sich viel geändert. Es ist wirklich einfach, einen Blog online zu stellen. Und das heißt auch, das Gatekeeping hat sich geändert. Es ist nicht so stark wie früher. Ich glaube, es gibt es schon, aber nicht so viel wie früher.

Cult Journal Digital: Ein Teilbereich des Kulturjournalismus ist ja der Muskjournalismus. Gibt es gerade im Musikjournalismus auch besondere Veränderungen durch die Digitalisierung?

Kolokytha: Ich glaube, es ist dasselbe, wie im Kulturjournalismus generell, also die Digitalisierung hat alles geändert. Es gibt zum Beispiel mehrere Blogs in der Popmusik, also in diesen Musikarten, die nicht Teil der „High Culture“ sind.

Cult Journal Digital: Wie sehen Sie die Rolle des Publikums in kulturjournalistischen Nachrichten-Prozessen im digitalen Medienumfeld?

Kolokytha: Es ist immer spannend. Zum Beispiel Leute, die Kommentare schreiben bei Kritiken, oder, die Kritiken in ihren sozialen Medien hochladen oder weiterleiten. Das ist eine Entwicklung, die wir früher nicht hatten. Ich finde es gut, weil die Leute können sich ein bisschen mehr mit Kultur beschäftigen über diesen Prozess. Ich finde es auch pluralistisch. Es ist gut, wenn das Publikum seine Meinung offen sagt oder schreibt.

Cult Journal Digital: Laut einer Studie, die heuer publiziert wurde, möchten sich immer mehr Menschen aus verschiedenen Gründen nicht an Nachrichten-Prozessen beteiligen. Wie ist Ihre Sicht dazu?

Kolokytha: Ich stimme zu. Also ich ich sehe das mehr in jüngeren Leuten. Es gibt viele, die nicht im „public dialogue“ teilnehmen möchten. Also ich kann mir vorstellen, es gibt verschiedene Gründe dafür.

Cult Journal Digital: Sehen Sie noch weitere negative Entwicklungen wie diese?

Kolokytha: Ja, es gibt zum Beispiel Kritiken in Zeitschriften, in Zeitungen und Magazinen, die nicht mehr so da sind, weil die Leute nicht so viel Zeitung als Hardcopy lesen. Es kann auch sein, dass mehr polarisiert wird, weil es gibt so viel „out there“. Es gibt viele Meinungen. Es gibt Leute, die mehr fanatisch sind, zum Beispiel. Also die Fans, insbesondere. Ich habe auch gelesen, dass die traditionellen kulturjournalistischen Jobs nicht mehr existieren. Also das ist wirklich eine ganz negative Entwicklung. Aber ich glaube, dass die positiven mehr sind als die negativen.

Cult Journal Digital: In wissenschaftlichen Quellen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass im digitalen Bereich ein hoher Zeitdruck für Journalist:innen besteht. Ist das etwas, das auch den Kulturjournalismus betrifft?

Kolokytha: Ja, das ist der Fall. Es gibt online viel Material, es gibt viele Reviews über ein Konzert, zum Beispiel. Und das war früher nicht der Fall. Alles ist sehr schnell und es ist nicht immer einfach, Inhalte für das Publikum auszuwählen oder eine eigene Meinung zu formulieren. Es gibt eine große Menge von kulturjournalistischen Texten, aber das heißt nicht immer, dass das Publikum mehr informiert ist.

Cult Journal Digital: In der Literatur wird in den letzten Jahren vermehrt von einer Krise des Kulturjournalismus gesprochen. Besonders die Autorität von Kulturjournalist:innen wird durch die Digitalisierung hinterfragt, weil alle Menschen jederzeit online Inhalte publizieren können. Wie ist Ihre Sicht dazu?

Kolokytha: Ich glaube, mehr Angebote zu haben, ist gut. Sobald man Kriterien hat, um diese Angebote zu evaluieren. Was ist gut? Was kann diese Information sein? Was kann Fake News sein? Das ist auch eine sehr, sehr große Sache. Also man muss sehr vorsichtig sein, was es online gibt. Was es online gibt, ist nicht immer die Wahrheit. Und bei Kritiken ist es vielleicht ein bisschen schwieriger, zu erkennen ob das, was dasteht, richtig ist. Die Frage ist, ob dann das Publikum verantwortlich ist, diese Informationen zu evaluieren und zu filtern und, ob das Publikum diese Entscheidung treffen kann.

🛈 Da Olga Kolokytha nicht mit einem Foto von sich auf der Website abgebildet werden wollte, wurde als Beitragsbild ein Symbolfoto erstellt, das den Videoanruf zeigt, im Rahmen dessen Kolokytha interviewt wurde. Das Gesicht der Protagonistin wurde auf dem Symbolfoto verpixelt.


Im vorigen Beitrag:

In den letzten Jahren wird vermehrt von einer Krise und sogar vom Tod des Kulturjournalismus gesprochen. Hat das Kultur-Ressort durch die Digitalisierung seine Relevanz verloren?