Gong – Pausenzeichen für den Kulturjournalismus?

Ausdrucke verschiedener Artikel über die Relevanz des Kulturjournalismus

Wer kennt ihn nicht, den Gong, der ertönt, wenn es im Theater oder Konzert Zeit für eine Pause ist. Die Lichter gehen an und die Menschen strömen zum Buffet. Oder, wenn die Darbietung nicht gefallen hat, geradewegs hinaus, Richtung Heimweg. Letzteres scheint ein recht passendes Bild für die aktuelle Situation des Kulturjournalismus zu sein. Denn seit einigen Jahren werden immer mehr Stimmen laut, die behaupten, der Kulturjournalismus würde nicht mehr gut ankommen und hätte seine Relevanz verloren. Als wäre eine Zwangspause eingeläutet worden, damit auch die letzten Seelen unauffällig aus dem Konzertsaal flüchten können, in dem der Kulturjournalismus seine traurige Vorstellung gibt.

Was ist dran, an diesem Bild? Auf den ersten Blick sieht es nicht rosig aus. Das Budget ist knapp, die Kultur-Redaktionen schrumpfen zusammen. Es gibt auch kaum noch Spezialist:innen. Wer heutzutage Kulturberichterstattung macht, muss meistens alle Kultur-Bereiche abdecken. Journalist:innen, die sich auf eine einzelne Gattung, wie Musik, Film oder Literatur, spezialisiert haben, gibt es nurmehr selten. Gleichzeitig kommen aus anderen Ressorts wenig wertschätzende Kommentare, wie zum Beispiel, die Kultur wäre „nicht lesernah genug“ oder „nicht quotentauglich“ – Aussagen, die durch die Digitalisierung leider immer mehr Gewicht bekommen. In der Praxis zeigt sich, dass Kulturthemen online nicht so gut geklickt werden wie reißerische Geschichten aus der Chronik. Das Interesse ist kaum da, die Kultur verschwindet immer stärker aus dem öffentlichen Diskurs. Besonders Kulturkritiken werden weniger.

Viele beklagen auch einen Autoritätsverlust im Kulturjournalismus. Durch die Digitalisierung haben die Menschen immer und überall Zugriff auf Kultur – sei es ein neues Album auf Spotify oder ein Theaterstück, das auf YouTube oder vielleicht sogar im Livestream eines Theaters zu sehen ist. Das Publikum hat also sehr leicht die Möglichkeit, sich selbst eine Meinung zu Kultur-Themen zu bilden. Damit ist die Autorität der Kulturjournalist:innen dahin. Auch deshalb, weil sie nicht mehr die alleinigen Gatekeeper:innen sind. Alle Menschen können ihre Meinungen heutzutage ohne große Mühe publizieren. Es braucht nicht einmal einen Blog-Post. Ein kurzer Tweet oder eine schnelles TikTok genügen. Selbst die Service-Funktion des Kulturjournalismus ist nicht mehr das, was sie früher war. Einmal durch den Insta-Feed gescrollt, ploppen alle interessanten Events der nächsten Woche auf. Wer braucht da noch Kulturjournalist:innen, die Veranstaltungen selektieren und empfehlen? Die Algorithmen auf Social Media oder in Suchmaschinen haben diesen Prozess schon ziemlich perfektioniert.

Mit einem Blick auf diese Argumente ist es nicht mehr verwunderlich, dass immer wieder von einem „Tod des Kulturjournalismus“ gesprochen wird. Kann man diesem Tenor irgendetwas entgegensetzen?

Die Antwort ist: ja, kann man. So bedrohlich das Internet auf den Kulturjournalismus auch wirken mag – es eröffnet durchaus einige neue Möglichkeiten. Die Vielfalt an kulturjournalistischen Formaten und Themen ist so groß wie nie zuvor, denn das Kultur-Ressort hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Es ist nicht mehr eingeschränkt auf den engen Kulturbegriff, unter den künstlerische Ausdrucksformen, wie zum Beispiel die bildenden Künste, die Literatur oder die Musik fallen. Der Kulturjournalismus umfasst heute auch diverse gesellschaftliche Themen, die früher vielleicht in anderen Ressorts besprochen wurden.

Außerdem nutzen immer mehr Kulturjournalist:innen digitale Medien, um ihre Themen zu platzieren und die Branche erweitert sich im Online-Bereich um neue Akteur:innen. Auf TikTok etabliert sich zum Beispiel ein Submarkt mit dem klingenden Namen BookTok, auf dem sich die Nutzer:innen mit der Bewertung von Büchern beschäftigen. Das Interesse an Kultur ist also keineswegs verschwunden. Es wird über Kultur gesprochen, nur auf eine andere Weise als früher. Klar, BookTok ist kein Kulturjournalismus, aber Journalist:innen müssen solche neuen Player miteinbeziehen. Wenn sie sich an Formate, wie diese, anpassen, können sie ihre beiden größten Stärken ausspielen: ihre Expertise und Professionalität. Denn genau das ist es, was sie von Lai:innen unterscheidet, die einfach mal schnell ihre Meinung publizieren. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich durch das Internet eine riesige Chance für den Kulturjournalismus.

Da können noch so viele Bewertungen zu einem Kulturthema auf Social Media kursieren – an eine professionelle Kulturkritik werden die nicht herankommen. Der Kulturjournalismus behält seine Vermittlungsfunktion im Kulturbetrieb. Er ordnet Inhalte kritisch ein und sorgt für die Weiterbildung der Öffentlichkeit. Die Kultur ist nicht umsonst ein integraler Bestandteil des ORF-Bildungsauftrags. Auch in der Kommunikation mit Künstler:innen erfüllt der Kulturjournalismus eine zentrale Vermittlungsfunktion. Die Wissenschaft zeigt, dass fundierte Kritiken, positive wie negative, zur Weiterentwicklung von Künstler:innen beitragen, da sie eine Reflexion der besprochenen Werke ermöglichen. In dieser Hinsicht also keine Spur von schwindender Relevanz.

So gesehen ist der Kulturjournalismus nicht tot, seine Relevanz ist immer noch da. Trotzdem darf man die Herausforderungen, mit denen das Ressort konfrontiert ist, nicht außer Acht lassen. Einfach weitermachen wie bisher, ist definitiv keine Option. Kulturjournalist:innen werden sich anpassen müssen – an neue Mediennutzungsgewohnheiten und an neue Formate. Es wird ein gutes Stück Arbeit brauchen, aber die Chance, das Publikum (wieder) zu gewinnen, ist da.


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Olga Kolokytha ist als Expertin für Kulturpolitik und Kulturmanagement an der Universität Wien und an der Universität für Weiterbildung Krems tätig. Im Interview spricht sie darüber, welche Auswirkungen die Digitalisierung aus wissenschaftlicher Sicht auf den Kulturjournalismus hat.