Recherche, Mods und Dreharbeiten: Ein Tag mit Kulturjournalistin Veronika Berger

Zwei Paar High-Heels stehen im Kies. Beide sind übersäht von Glitzersteinen, die in der Sonne funkeln. Die einen ein bisschen heller, fast weiß, die anderen eher silbrig-grau. „Ich konnte mich nicht entscheiden, welche ich anziehe“, sagt Veronika. Noch trägt sie weiße Sneakers.

Veronika Berger ist Kulturchefin im ORF Landesstudio Niederösterreich. Sie hat den Überblick über alle Kulturthemen der Redaktion und teilt ein, wer, für welche Geschichte zuständig ist. Außerdem moderiert Veronika und ist – wenn es sich zeitlich ausgeht – auch selbst als Redakteurin unterwegs. Oft muss sie dabei drei verschiedene Mediengattungen bespielen: Radio, Fernsehen und Online.

An diesem Mittwochvormittag im Mai hat Veronika einen Dreh im Schloss Rothmühle in Schwechat. Dort finden jeden Sommer die NESTROY Spiele statt – ein Freiluft-Theater, das sich auf Nestroy Stücke spezialisiert hat. Es ist eine der vielen Spielstätten des Theaterfest Niederösterreich, über das Veronikas Redaktion den gesamten Sommer berichtet. Heute dreht sie Teile der ersten Sendung.

Bevor der Dreh starten kann, trifft Veronika ihre Maskenbildnerin Claudia. Ausgestattet mit einem kniehohen Köfferchen voll Schminke und Haar-Produkten kommt sie im Schlosshof an. Eine große Umhängetasche hat sie auch dabei. „Das ist natürlich ein Riesenaufwand. Den betreiben wir nicht immer“, erklärt Veronika. Vor allem im Sommer sind die vier Maskenbildnerinnen des Landesstudios öfters draußen unterwegs. Und heute gibt es einen besonderen Luxus: Veronika und ihre Stylistin werden von Christian Graf, dem Intendanten der NESTROY Spiele, in einen eigenen Seminarraum für die Maske geführt – mit Steckdosen und Verpflegung. Also kann es losgehen: Stück für Stück holt Maskenbildnerin Claudia die Produkte aus ihrem Koffer und platziert sie feinsäuberlich auf einem der Seminarraum-Tische. Dann nimmt Veronika Platz und lässt Claudia Hand anlegen. Die beiden tauschen sich über die Schuh-Frage aus und schnell ist klar, dass Veronika die grau-silbrigen anziehen wird.

Dann kommt ein Anruf – jemand, der möchte, dass Veronika über sein neues Theater-Projekt berichtet. Sie verweist ihn an einen Kollegen. Vermutlich kann der Termin nicht von ihrer Redaktion besetzt werden. „Auch das gehört zu meinem Job. Man kann leider nicht über alles berichten.“ Veronika sieht Journalist:innen trotz Digitalisierung immer noch als Gatekeeper:innen. Für sie ist es eine Kernaufgabe des Journalismus, Inhalte einzuordnen, sie zu gewichten und zu erklären. Außerdem gehört auch viel Planungsarbeit und Recherche zu Veronikas Job. Dann sitzt sie ohne aufwendiges Styling im Funkhaus, ganz klassisch am Laptop, telefoniert, schreibt Emails und geht Programme durch. Ihr Arbeitsalltag ist nicht immer so abwechslungsreich und glamourös wie heute, erklärt sie, während Stylistin Claudia unbeirrt weiter in Veronikas Gesicht herumwerkelt. Die Maskenbildnerin macht sich nur durch kurze Anweisungen zwischendurch bemerkbar, wie „Augen zu“ oder „Kopf runter“.

Für den heutigen Dreh war eine intensive Vorbereitung nötig. Veronika hat recherchiert, den Dreh geplant, die Interviewfragen vorbereitet und ihre Moderationen geschrieben. Letzteres war eine besondere Herausforderung, weil die Beiträge, die Veronika in den Moderationen ankündigt, erst später gedreht werden. „Es ist immer gut, wenn du die Beiträge gesehen hast, wenn du deine Moderationen schreibst. Aber da ging es jetzt aus Dienstplan-technischen Gründen auch gar nicht anders“, erklärt sie. Deshalb hat Veronika sich vorab ausführlich mit ihrem Kollegen ausgetauscht, der die Beiträge gestalten wird. Dann hat sie die Moderationen geschrieben und auswendig gelernt.

Im Seminarraum sitzen mittlerweile Haare und Make-Up und Veronika trifft ihre Interviewpartnerin Kristina Sprenger, die Obfrau des Theaterfests. Kurz besprechen sie die Interviewfragen, dann gehen sie hinaus in den Hof. Dort hat das Kamerateam inzwischen alles für den Dreh vorbereitet. Veronika und Kristina Sprenger werden auf zwei gegenüberstehenden Bänken platziert. Es dauert seine Zeit, bis die Kameras richtig eingestellt sind und auch Tonmann Andreas sein Okay gibt. Bewaffnet mit Haarspray, Bürste und Puder-Pinsel schummelt sich Stylistin Claudia derweilen zwischen Kameras, Lampen und Kabeln durch, um einen letzten Touch Up bei den Damen zu machen. Dann kann das Interview starten.

Im Vergleich zu den Vorbereitungen geht es beim Interview selbst zwar relativ schnell – Veronika hat vier prägnante Fragen vorbereitet, die sie mit Kristina Sprenger bespricht – aber das Kamerateam ist gut beschäftigt. Zwei Kameras nehmen das Interview auf: eine, die Kristina Sprenger in der Nahen zeigt und eine, die die gesamte Interviewszene in der Totalen aufnimmt. Um im Schnitt später auch Veronika in der Nahen zeigen zu können, werden die Kameras nach dem Interview umgebaut und Veronikas Fragen nochmal aufgenommen. Spätestens jetzt wird wieder einmal deutlich, wie aufwendig es ist, Themen fürs Fernsehen aufzubereiten. Und die Ressourcen in Veronikas Redaktion sind begrenzt. So begrenzt, dass es oft gar nicht die Kapazitäten gibt, aus Kultur-Geschichten einen Fernseh- oder Radiobeitrag zu machen. Oft wird nur online berichtet.

Trotzdem müssen Nachwuchsjournalist:innen in Veronikas Redaktion Alround-Talente sein und den Umgang mit allen Mediengattungen beherrschen – vom Fernsehen bis hin zu Radio und Online.

„Du kannst eigentlich heute kaum mehr sagen, als junger Mensch, zum Beispiel online interessiert mich überhaupt nicht“, stellt sie fest.

Generell sieht Veronika sowohl Herausforderungen als auch Potential im Onlinebereich. Die Mediennutzungsgewohnheiten der Menschen haben sich verändert und darauf müssen Journalist:innen reagieren. Für den Kulturjournalismus ist dabei eine große Hürde, dass Kulturthemen online oft nicht so viele Klicks bekommen, wie beispielsweise chronikale Ereignisse.

Inzwischen ist das Interview im Schloss Rothmühle vorbei und Kristina Sprenger verabschiedet sich. Für Veronika geht es aber noch weiter. Sie wird als nächstes die Moderationen, genannt „Mods“, für die Sendung drehen. Das erweist sich aber als ziemlich mühsam. Nach dem Interview im Schlosshof sollen die „Mods“ nämlich vor dem Schloss gedreht werden. Da gibt es aber kaum schattige Plätze und Kameramann Danijel verflucht die strahlend helle Sonne. Wenn es vom Licht dann mal passt, pfuscht einer der Flieger, die im Minutentakt in Schwechat landen, in den Ton. Oder der starke Wind ist ein Problem. Über den ärgert sich nicht nur der Tonmann, sondern auch Maskenbildnerin Claudia. Veronika hat inzwischen schon so viel Haarspray abbekommen, dass man meinen müsste, ihre Haare wären einbetoniert. Aber falsch gedacht – die Haare fliegen trotzdem wild durchs Bild und besonders oft in Veronikas Gesicht.

Nach unzähligen Anläufen mit drei Ortswechseln ist es schließlich geschafft. Sobald die „Mods“ im Kasten sind, zieht Veronika die High Heels aus. „Schön sind sie ja, aber lange hält man es in den Dingern nicht aus.“ Barfuß tapst sie zum Eingang des Schlosses. Viel Zeit zum Verschnaufen hat Veronika aber nicht. Als nächstes soll nämlich der Opener für die Sendung gedreht werden. Dafür zieht Veronika die High Heels wieder an und Danijel montiert seine Kamera auf einem Gimbal. Das Metallgestell balanciert die dreidimensionale Bewegung aus, die entsteht, wenn Danijel sich mit der Kamera bewegt und ein Objekt verfolgt. Heute nutzt der Kameramann das Gimbal, um Veronika zu filmen, während sie auf den Schlosseingang zugeht. Sie setzt einen Schritt vor den anderen und Danijel fängt ihre Bewegungen ein. Für den Opener der Sendung werden die Aufnahmen später in Slow-Mo abgespielt.

Nach dem Dreh machen sich Veronika und Claudia auf den Weg zurück in den Seminarraum. Während die Stylistin ihren vorhin so sorgfältig auf dem Tisch platzierten Mak-Up Katalog wieder in das Köfferchen einschlichtet, spricht sie mit Veronika über die Polarlichter, die am Wochenende vor dem Dreh über Niederösterreich zu sehen waren. Veronika erzählt, dass die Redaktion das Publikum bei diesem Thema sehr stark in die Berichterstattung eingebunden hat.

„Wir haben drüber berichtet und in Windeseile unzählige Fotos aus ganz Niederösterreich bekommen, die wir dann auch eingearbeitet und auf Social Media verbreitet haben, aber auch zum Beispiel in der Fernsehsendung in Niederösterreich Heute gezeigt haben.“

Für Veronika ist es ein großer Vorteil des digitalen Medienumfelds, dass der Austausch mit dem Publikum so leicht möglich ist – sowohl im Kulturbereich, als auch in anderen Ressorts.

Inzwischen stößt auch Tonmann Andreas in den Seminarraum dazu. „Du hast nicht zufällig einen Laptop dabei?“, fragt er Veronika. Natürlich hat sie einen dabei – Veronika fährt fast nie zu Drehs ohne ihren Laptop. „Man weiß nie, wann man ihn brauchen kann.“ Und jetzt braucht sie ihn, denn Andreas möchte Veronika zusätzliche Audios überspielen, die er beim Dreh als Backup mit der Angel aufgenommen hat. Zur Sicherheit, falls die Tonqualität der angesteckten Mikros nicht gut genug ist. Wenn es so windig ist wie heute, kann man ja nie wissen.

Also geht es zu Veronikas Auto, wo der Laptop in den letzten vier Stunden von der Sonne geröstet wurde. Bei der Gelegenheit wirft Veronika ihre High Heels mit einer lässigen Handbewegung hinter den Fahrersitz. Sie hat inzwischen längst wieder ihre Sneakers an. Dann kommt der Laptop zum Einsatz (der natürlich trotz Sonnen-Röstung einwandfrei funktioniert). In Ermangelung eines Schreibtisches stellt Veronika das Gerät kurzerhand auf die Motorhaube ihres Autos und Andreas überspielt Veronika die Audios.

Nach ein paar Minuten ist es schließlich so weit. Der Backup-Ton ist überspielt, die Disk mit dem Video-Material ist im Auto verstaut und Veronika ist bereit für die Abfahrt nach Wien. Sie schneidet die Clips heute im ORF Zentrum am Küniglberg, wo es einen eigenen Schnittplatz für das Landesstudio Niederösterreich gibt. „Der Küniglberg ist von hier aus einfach besser zu erreichen als das Landesstudio in St. Pölten“, erklärt Veronika. Im Endeffekt dauert die Fahrt von Schwechat nach Wien aber ziemlich lange. So lange, dass genug Zeit ist, den heutigen Tag zu reflektieren. Ganz schön ressourcenfressend, so ein Fernseh-Dreh. Ganz schön viel Technik, die da involviert ist. Ganz schön verständlich, dass über viele Kulturthemen wegen Sparzwängen nurmehr online berichtet wird. Aber ganz schön schade, dass die digitale Kulturberichterstattung die Leute scheinbar nicht so sehr interessiert.

Warum sich also überhaupt die Mühe machen und Kulturthemen online aufbereiten – für ein Publikum, das auf andere Themen viel mehr anspricht? Aus Veronikas Sicht ist die Antwort klar: Die Kultur ist ein integraler Bestandteil des ORF-Bildungsauftrags. Deshalb berichtet ihre Redaktion online über Kultur, auch wenn Veronika weiß, dass die Beiträge nicht besonders viele Klicks bekommen werden.

Am Küniglberg angekommen, schnappt sich Veronika ihre Handtasche und den Laptop, dann sperrt sie das Auto zu. Auch wenn der Tag für sie noch nicht zu Ende ist, ihre Rolle vor der Kamera kann Veronika für heute ablegen. Jetzt heißt es, zurück zu einer der zahlreichen Aufgaben, die hinter der Kamera auf die Kulturchefin warten. Die High Heels haben für heute ausgedient. Sie bleiben hinter dem Fahrersitz liegen, während Veronika in ihren weißen Sneakers durch die ORF-Garage zum Schnitt spaziert.


Im nächsten Beitrag:

Stephan Hilpold ist Kulturjournalist und leitete von 2018 bis 2023 das Kultur-Ressort bei der Tageszeitung DER STANDARD. Im Interview erzählt er von der Sonderstellung der Kultur als Ressort, der verstärkten Meinungsvielfalt durch die Digitalisierung und über den vermeintlichen Tod des Kulturjournalismus.